Im starkbesetzen 49er Feld feiern Benjamin Bildstein und David Hussl nach langer verletzungsbedingter Pause ihre Rückkehr in den Wettkampfzirkus , bei den Skiff-Damen halten Tanja Frank/ Lorena Abicht die rot-weiß-rote Fahne hoch. Im gleichen Feld segelt auch Angelika Kohlendorfer, die im Kieler Wasser voraussichtlich mit Laura Schöfegger als Vorschoterin ins Boot steigen wird.
EM - Premiere für Full-Foiler-Nacras
Es ist eine der großen Segel-Sensationen des Jahres 2017 – in wenigen Tagen werden in Kiel erstmals die Nacra17 – Katamarane als „Full-Foiler“ in einer internationalen Regatta übers Wasser fliegen. Sie sind damit die erste olympische Bootsklasse, die das „fliegen“ lernt. Möglich wird dies durch die neuen „Z“-Foils, mit denen sich die Rümpfe der Katamarane komplett aus dem Wasser heben. Eine Technik, die neben Geschick und Gespür vor allem auch viel Erfahrung verlangt, um die Boote sicher um den Kurs zu bringen.
Genau diese Erfahrung fehlt aber noch vielen Teams, weshalb diese große Entwicklung im Segelzirkus durchaus kritisch beobachtet wird, wie auch OeSV- Sportdirektor Georg Fundak bestätigt: „Es ist schon ein sehr großes Risiko, mit diesen ganz neuen Booten, für die es noch an Erfahrung fehlt, eine Europameisterschaft fahren zu lassen. Man wird sehen, wie gut die Teams das im Griff haben. Aller Anfang ist schwer. Aber wir machen das Beste daraus, wir sind voll motiviert und werden Gas geben. Es ist wie bei einer neuen Liebe, wo jeder Tag etwas Neues bringt.“
Eines von 37 Teams, die bereits mit der neuen Generation der Nacra17 an den Start gehen, sind Olympiaass Thomas Zajac und seine Segelpartnerin Barbara Matz. Die beiden haben ihr neues, foilendes „Baby“ erst vor wenigen Tagen in Empfang genommen, gestern, Donnerstag, erfolgte direkt in Kiel die Taufe.
Zajac konnte in den vergangen Wochen reichlich Foiling-Erfahrung auf den Flying Phantoms im Rahmen der Extreme Sailing Series sammeln, zeigt sich aber in Puncto EM zurückhaltend: „Wir werden jetzt jeden Tag möglichst viele Stunden am Wasser verbringen, um ein Gefühl für unser neues Boot zu entwickeln. Es fehlt bei der Foiling-Technologie noch an Know How. Wir müssen kreativ arbeiten, Grenzen ausloten und einfach viel ausprobieren. Auch für Barbara ist das Foilen noch recht neu. Das wird jetzt eine kontinuierliche Entwicklung für die nächste Zeit.“
Ein echtes Staraufgebot hat sich jedenfalls für diese Premiere angekündigt. Von den Silbermedaillen-Gewinnern aus Rio, Jason Waterhous/ Lisa Darmamin, über Europameister Ben Saxton bis hin zu Iker Martinez, Olympisches Urgestein in der 49er Klasse – sie sorgen für ein entsprechend hohes Niveau im Startfeld der Full Foiling Nacra17.
Trotzdem ist für Zajac klar: „Das wird für alle ein Austesten. Wir beschreiben ein komplett weißes Blatt neu. In Kiel werden sich alle gegenseitig beobachten und es bleibt abzuwarten, wie viel Risiko die Teams eingehen werden. Egal, wer sich am Ende den Europameistertitel holt, wirklich aussagekräftig ist das nicht. Die Teams stehen mit ihrer Arbeit erst am Anfang. Erst kommenden Frühjahr, wenn also alle Teams mehrere Monate trainiert haben, werden sich neue Favoriten herauskristallisieren.“
Zurück im Spiel
Die Karten neu mischen wollen auch Benjamin Bildstein und David Hussl. Das 49er Duo kehrt nun nach mehrwöchiger Pause, bedingt durch die schweren Verletzungen, die sich Bildstein Mitte Mai in Santander zugezogen hatte, mit der EM in Kiel in den internationalen Rennzirkus zurück.
„Bildstein/ Hussl wollen zurück ins Spiel kommen und das werden sie auch schaffen. Sicher werden sie in den kommenden Tagen einige gute Wettfahrtsergebnisse abliefern, auch wenn die Kontinuität über die ganze EM noch schwierig werden könnte. Die Zeit seit der Genesung ist noch kurz“, prognostiziert Georg Fundak das Comeback seiner Schützlinge.
Benjamin Bildstein ist ob der bevorstehenden Rückkehr jedenfalls voller Vorfreude: „Es hat seine Zeit gebraucht, aber jetzt bin ich endlich schmerzfrei und wir wollen dort fortsetzen, wo wir im Frühjahr aufgehört haben. Natürlich haben wir im Vergleich mit den anderen Teams jetzt einen Trainingsrückstand und wir können nicht damit rechnen, ganz vorne mit dabei zu sein. Ziel ist, dass wir uns im Laufe der Regatta steigern können. Der Fokus liegt nicht auf einer Platzierung, sondern auf unserer persönlichen Entwicklung. Wir wollen den Anschluss an die Spitze schaffen.“
In jedem Fall ist das OeSV –Duo mit einem großen Teilnehmerfeld konfrontiert, über 90 Boote sind in der 49er Klasse gemeldet. Bestens vertraut mit dem Revier sind die Sieger der Kieler Woche, die sich allesamt nun an der Startlinie wieder vereint sehen – von David Gilmour/Joel Turner (Gold), und Will und Sam Phillips (Bronze), alle aus Australien, bis hin zu Łukasz Przybytek/Pawel Kołodziński (Silber) aus Polen.
Lernprozess im Vordergrund
Für die zwei österreichischen 49erFX-Damen-Teams dient die EM in Kiel dazu, mehr Sicherheit und Routine im Wettfahrtsgeschehen zu bekommen, wie der OeSV – Sportdirektor umreißt: „Tanja Frank und Lorena Abicht zeigen im Training schon sehr reife Leistung. Diese gilt es aber auch unter Druck und in Stresssituationen abrufen zu können. Das gelingt noch nicht immer. Sie sind noch ein junges Team in der Lernphase und es ist logisch, dass man in so kurzer Zeit, den Abstand zu den routinierten Teams nicht aufholen kann. Aber sie machen ihre Sache gut und sie werden von den anderen Teams beobachtet.“
Tanja Frank und Lorena Abicht sind bereits seit Anfang der Woche in Kiel, um sich im EM-Revier einzustimmen: „Uns geht es gut. Wir hatten die letzten Tage mit schwierigen Bedingungen zu kämpfen, der ablandige, drehende und böige Wind hat uns zu schaffen gemacht. Morgen wird noch unser Boot ganz streng gewogen und vermessen und am Samstag haben wir noch einen Layday. Wir sind auf alles eingestellt und lassen die EM einfach auf uns zukommen. Wir wollen so viel wie möglich lernen, um unsere Trainingsleistung auch in der Regatta umsetzen zu können.“
Glück im Unglück hatten Angelika Kohlendorfer und Lisa Farthofer, die als zweites OeSV-Boot bei 49er FX – EM an den Start gehen sollen. Farthofer hatte sich vergangen Montag beim Training einen Nerv eingeklemmt, dass an Segeln vorerst nicht zu denken war. Mit Laura Schöfegger konnte jedoch kurzfristig ein ebenbürtiger Ersatz für die verletzte Vorschoterin gefunden werden.
„Ich bin happy, dass Laura so spontan als Ersatz eingesprungen ist. Sonst könnte ich nicht Segeln. Wir werden heute nochmal den Tag fürs Training nützen. Alles weitere und ob Lisa doch an den Start gehen kann, wird sich hoffentlich bis Samstag zeigen,“ so Kohlendorfer.
Auch die 49er FX – Klasse wartet diesmal in Kiel mit einem großen Startfeld auf, die rund 70 Boote unterstreichen die Popularität der Klasse.
EM-Fahrplan
Für die 49er und 49erFX beginnt die Medaillenjagd mit der Qualifikation bereits am Sonntag, 30. Juli, Bis inklusive Dienstag, 1. August, geht es ums Punktesammeln und damit um die Tür zur Goldfleet, zu der sich je 20 Boote bei den 49er und 20 Boote bei den 49er FX qualifizieren. Ab Mittwoch stehen die Finalseries am Programm, bevor es am Freitag, 4. August, in den Medal Races zur Titelsache geht.
Die Nacra17 – Klasse starten erst am Montag, 31.Juli 2017. Ab Mittwoch segeln 24 Boote in der Goldfleet, bevor es ebenfalls am Freitag, 4. August, zum großen Showdown kommt.
Mag. Anna Sollereder.
Sämtliche Ergebnisse und Informationen finden Sie unter:
http://49er.org/event/2017-european-championship
http://nacra17.org/events/2017-european-championship
Kohlendorfer/Farthofer, Foto: © David Pichler |
Bildstein/Hussl, Foto: ©David Pichler |