Boris Herrmann am Kap Hoorn |
Die Crew der IDEC freut sich auf die Ankunft |
„Die Erschöpfung und Anstrengung ist unbeschreiblich und sitzt allen an Bord tief in den Knochen“, schrieb Boris Herrmann in der siebten und letzten Woche von unterwegs.
„Es war eine lange Zeit ein sehr kalter Kampf mit goldenen Momenten zwischen Himmel und See, wenn das Boot in einer glitzernden Schaumwolke mit unbeschreiblichen 90 km/h über die Weite des Ozeans prescht, tausende Kilometer vom Land und jeder vermeintlichen Rettung entfernt.”
Literweise Adrenalin sei dabei durch ihre Adern geflossen. “Der erste Kaffee und der erste Orangensaft”.
Worauf sie sich am Ende am meisten freuten? „Auf ein Toastbrot mit Marmelade zum Beispiel“, schwärmt der geborene Oldenburger. Das Leben fange quasi noch mal wieder neu an nach fast 50 Tagen totaler Entbehrung. Herrmann: „Der erste Kaffee und der erste Orangensaft, der erste Duft einer Pflanze, das erste Geräusch von Menschen, von Zivilisation, der erste Kuss – das scheint so banal, und ist doch für uns ein langersehnter Hochgenuss.“ Da bleibt der Hochseesegler, der sieben Tage die Woche 24 Stunden funktionieren musste, vor allem auch Mensch. Die sportliche Analyse liefert er dazu.
„Für mich bleibt dieser Rekordversuch rundum ein Erfolg“, sagte Herrmann schon auf den letzten von fast 30.000 Seemeilen, die er nonstop unter Segeln zurückgelegt hatte. Einen neuen Weltrekord habe St. Helena verhindert, jenes Standard-Hochdruckgebiet auf dem Südatlantik, das sich auf Hin- und Rückweg so breit gemacht hat, dass die Passage schlichtweg zu lange dauerte. Dennoch hatte die „IDEC Sport“ bis kurz vor Weihnachten noch auf Rekordkurs gelegen. Mehr als 300 Seemeilen betrug der Vorsprung auf die Rekordhalterin von 2012, „Banque Populaire V“, am 22. Dezember. Nach gut zwei Dritteln der Strecke am berüchtigten Kap Horn schien noch alles drin. Herrmann: „Aber da ahnten wir schon, dass das Wetter uns nicht hold sein würde.“
Nur genau das lasse sich halt nicht so lange im Voraus planen. „Mehr als sechs Tage, also vom Start bis zum Äquator, ist trotz modernster Meteorologie-Daten keine seriöse Vorhersage möglich“, erklärt der Navigator, „danach sind wir ein Stück weit in Gotteshand – oder Spielball einer großen Lotterie.“ Die Weltumsegler teilten den Globus durch die Ozeane in sechs Hauptgewinne ein. „Dabei haben wir zweimal die gleiche Niete gezogen“, so Herrmann.
Rekorde und Durststrecken
Der Nordatlantik hatte der „IDEC Sport“ zunächst die zweitschnellste jemals gesegelte Zeit beschert, knapp hinter der zwölf Meter längeren „Spindrift 2“, die unter Skipper Yann Guichard (ebenfalls Frankreich) parallel zur Jules Verne Trophy gestartet war, den Rekord aber ebenfalls verpasste. Und den Indischen Ozean durchquerte der kleinere der beiden Trimarane in der zweiten Dezember-Woche in sechs Tagen, 23 Stunden und vier Minuten so zügig wie niemals ein Boot zuvor.
Das einzige strategische Fragezeichen setzte die IDEC-Crew hinter den Pazifik, der Licht und Schatten bot. „Wir hätten hinter Neuseeland auf eine extreme südliche Route in Höhe des 62. Breitengrads abbiegen können“, berichtet Boris Herrmann, „aber das hat Francis (der Skipper, d. Red.) zu meiner persönlichen Überraschung schnell verworfen, weil es schlicht und ergreifend viel zu gefährlich gewesen wäre.“ Denn in diesen Breiten des Südpolarmeers droht ständig Eisgang, der dem mehr 80 km/h schnellen Mehrrumpfboot hätte zum Verhängnis werden können. Joyon, der Mann, der seit 2008 den Solo-Weltrekord mit 57 Tagen hält, übernahm Verantwortung und ließ die Vernunft siegen.
Zu jeder Zeit war der Franzose der unangefochtene Leitwolf an Bord, getrieben von seiner unbändigen Motivation, die seine kleine, aber feine Mannschaft mitriss. „Wir haben uns ohne Worte verstanden“, so Boris Herrmann, „haben miteinander und füreinander gekämpft.“ Obwohl schon nach Kap Horn klar war, dass sie am Rekord scheitern würden, wurde weiter verbissen getrimmt, gewinscht, konzentriert gesteuert und manövriert, bis zur totalen Erschöpfung. Mehr noch, es wurde gehämmert, geflext, laminiert, geschraubt, geknotet, gebastelt und erfunden, Gewinde geschnitten, Lager wurden gangbar gemacht, gefeilt, gebohrt und, und, und, um immer wieder technische Probleme aus dem Weg zu räumen.
“Wofür das Ganze?”
Wofür das Ganze, fragte sich Herrmann manches Mal. Es liege zwar in den Genen, „wir können gar nicht anders“. Doch es gab auch moralische Tiefpunkte. „Weihnachten hat mich das Essen so angeekelt bei dem Gedanken an die Familienfeier zuhause, dass ich kurz Tränen in den Augen hatte.“ Doch es seien immer wieder unvergleichlich schöne Momente, die dafür wettmachten. Mutter Natur hielt einen riesigen, etwa 700 Meter breiten Eisberg bereit, der im Sonnenlicht des Südatlantiks geheimnisvoll tief blau leuchtete. Vielleicht wird den Koloss nie wieder jemand erblicken angesichts von 14 Grad Wassertemperatur in der Region.
Auch die Halbzeit-Begegnung auf Sichtweite mit der vermeintlich deutlich überlegenen Konkurrentin „Spindrift 2“, die mit einer 14-köpfigen Crew unterwegs war, zählt Boris Herrmann zu den Highlights seiner dritten Weltumseglung. Die erste hatte er 2009 mit dem Hamburger Felix Oehme beim Portimão Global Ocean Race über Etappen gewonnen; die zweite beim Barcelona World Race 2010/2011 nonstop mit Ryan Breymeier (USA) als Fünfter beendet. Seitdem ist der 34jährige weltweit als Navigator gefragt und hatte voriges Jahr mehrere Streckenrekorde aufgestellt.
Drittschnellste Zeit der Jules Verne Trophy
Der schnellste Deutsche rund um die Welt ist Boris Herrmann allemal mit derdrittschnellsten Zeit, die jemals auf der theoretisch gut 22.000 Seemeilen langen Strecke gesegelt wurde, und das ausschließlich mit Hilfe von Wind- und etwas Sonnenenergie. „Niemals könnte das ein motorgetriebenes Boot schaffen angesichts der Unmengen von benötigtem Kraftstoff“, vergleicht er auch ökologisch, „ein Denkanstoß in punkto Leistungsfähigkeit regenerativer Energiequellen.“
Und wird er noch einen Anlauf nehmen auf die Jules Verne Trophy? Der rasante Ritt lässt eine Rechnung offen. „Als wir schon wussten, dass es diesmal nicht klappen würde, haben wir am Äquator schon lebhaft über Verbesserungspotential diskutiert“, verrät Herrmann, „für einen Rekord braucht es meist drei Versuche.“ Von 28 Anläufen führten bisher nur acht zu einer verbesserten Zeit. Der Navigator sieht bei der Radar- und Infrarottechnik zur Erkennung von Treibeis am meisten Luft nach oben. Dann könnte doch eine kürzere, erfolgversprechendere Südroute eingeschlagen werden. Dann wird es noch einmal wehtun, nochmal diese Entbehrungen, aber eben vor allem unwiederbringliche Glücksmomente schaffen. Bericht: Andreas Kling.